Beten, Gedenken an Jesu Leiden und an ein Wort des Pilatus als Predigtthema von Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck. Das und viel Regen bestimmen den 30. Karfreitagskreuzweg auf der Bottroper Halde Prosper Haniel mit rund 800 Menschen. Sie machen vom Sportplatz nahe Franz Haniel aus ihren Weg über die Kreuzweg-Stationen auf die Halde. Aber auch die, die den zum Teil steilen Aufstieg nicht mehr bewältigen können, sind via Busshuttle auf die Prosper Halde beim Kreuzweg der Vielen dabei. Denn am Plateau beten und singen Vorbeterin Marianne Maesen (Oberhausen), der Musiker Veit Zimmermann und KAB- Diözesanpräses Jürgen Haberl den Kreuzweg via Lautsprechen überall übertragen - für Menschen hier oben wie unterwegs.
„Was ist Wahrheit“ zitiert der Bischof später die Pilatus-Frage an Jesus, die sich auch jedem Gläubigen und den Menschen stelle. Die Frage nach Wahrheit sei heute dringend und hochaktuell. Overbeck: „Die Zeiten drängen danach, mehr nach der Wahrheit zu suchen und zugleich auszuhalten, dass sie sich oft nicht nur eindeutig beantworten lässt.“ Beispielhaft verwies er auf die Themen Energie, Gerechtigkeit, Armut und Not sowie auf „die vielen ethischen Fragen bei den ungeheuren Entwicklungen in der Medizin und der Pflege. „Überall gibt es eine einzige Frage, auf die sich alles zuspitzt, nämlich die Wahrheitsfrage. Sie hat mit der Frage nach der Würde des Menschen zu tun.“
Der Tag des 30. Kreuzweges 2024 ist für die, die früh aufs Plateau fahren, aber auch für andere mit Erinnerungen verbunden. Bereits kurz nach halb zehn oben treffen sie auf viele Helferinnen und Helfer des Tages. Die Oberhausener Kurbel baut Pavillons auf. Die Einrichtung für Jugendberufshilfe, Streetwork und Bildungsarbeit ist später Empfängerin der Kreuzweg-Kollekte 2024 und informiert an überdachten Tischen des Tags mit teilweise heftigem Regen über ihre Bildungs- und Freizeitarbeit für junge Menschen. Vorbereitet werden für die vielen Helferrinnen und Helfer auch Getränkeausgaben und Schmalz-, Mett- oder Lachsbrote und Brötchen zur Stärkung.
Ihre Eindrücke von der Auffahrt und dem Besuch hoch über Bottrop schildert Christa Paczulla aus Duisburg. „Es ist überwältigend, den Karfreitag hier zu erleben“, sagt die ältere Dame in den Achtzigern. „Trotz der Menschenmenge unterwegs ist das ein ruhiger Tag. Ich erlebe das natürlich ganz anders als in den Gottesdiensten zu Haus.“ Christa Paczulla erzählt, sie sei dem Tipp ihrer Tochter gefolgt. „Die war karfreitags schon mehrfach dabei. Da ermunterte mich Susanne: Fahr hoch, das musst Du erleben.“
Im Zelt wartet Rainer Schwegmann (85). Er ist Mitglied der Ehrengarde des Bergwerks Prosper Haniel. „Verbindungen zur Kirche habe ich kaum“, sagt der frühere Bergmann im schwarzen Bergkittel, dem ebenso dunklen wie prächtigen Schachthut mit Goldverzierung und mit seinem Fahrstock. „Unsere gemeinsame Karfreitagstradition von Bergbau und Kirche müssen wir auch nach dem Abschied vom Bergbau bewahren.“ Das, worum sich heute der Verein Karfreitagskreuzweg, das Bistum, Ehrenamtliche, die Ruhrkohle-Stiftung und die KAB intensiv kümmern, ist für ihn ,,entscheidend wichtig“.
So ziehen gerade auch seine Garde-Kollegen sowie die Katholiken der Eucharistischen Ehrengarde mit allen Betern und dem Bischof zum Plateau hinauf. „Der Karfreitag“, ergänzt der ehemalige Bergmann, „muss hier in jedem Fall ein Tag der Besinnung mit Rast und ohne Raser sein.“ Für ,,die hier spürbar perfekte Organisation“, wie ein Frau im Shuttle-Bus zuvor bemerkte, stehen an und auf der Halde die Yellow Rangers mit Hermann-Josef Schepers, Andreas Schellhase und seinem Team vom KAB-Diözesanbüro gerade. Gerade am „30. Karfreitag“ hier leistet auch ein für alle Wetter des Tages vorbereitetes Dutzend Frauen und Männer mit Wischern und Abziehern in Regenpausen schnelle Arbeit. Dadurch sitzen viele Hunderte später trocken.
Aus den Lautsprechern überall am Weg dringen jetzt Impulse vorgetragen von der Vorbeterin zu den Menschen am Berg. An der 7. Station, dem zweiten Fall Jesu unter dem Kreuz, ist in kurzen Sätzen auch rücksichtloses Wirtschaften heute ebenso Thema wie ein ,,hemmungsloser Umgang mit Resourcen, wodurch auch aktuell Menschen zu Fall kommen“. Überhaupt: Das Leben von Menschen nach dem Tod (Jesu) sowie ihr Auftrag, für die Würde anderer und Solidarität einzutreten sind wie die Gebete zur Gottesmutter wichtige Anliegen des Tages an der Halde. An der vorletzten Station, der Grablegung Jesu, denken die Gläubigen dann Jesu Sterben für alle, an Menschen heute ohne jedes Grab sowie an aktuelle Opfer von Gewalt und Krieg. Friede, der ist weit entfernt. Bonhoeffers Lied ,,Von guten Mächten“ und seine Worte vom ,,Behütet sein“ singen viele mit. Sie lassen ein wenig Hoffnung schimmern. So wie an der 14. Station der Gebetsruf „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir…“
Erneut – und wie er sagt – sicher zum 20. Mal am Karfreitag auf der Halde, ist Gregor (ohne vollen Namen) mit seiner Frau Ulrike, der früh oben ankommt. 1995 war der Mann, Mitte 60 im Helfer-Team zur Begründung dieses Weges mit dabei. „Unsere Bottroper Gemeinde ist hier wie sehr oft gut vertreten.“ Die Gemeinschaft unterwegs zum Kreuz stärke, ergänzt er. Auch zwei Enkel der jungen Großeltern warten ohne Nass von oben jetzt auf die Ankunft der Andere und auf den Gottesdienst. Lektoren und die Gemeinde sprechen bald Fürbitten, der Bischof predigt, Bläser erklingen. Nach den Worten von Stadtdechant Dr. Jürgen Cleve (Bottrop) zu Beginn am Sportplatz spricht Oberhausens Stadtdechant André Müller die Dankesworte.
Bis auf den Abbau haben auch die Helfer des Tages und die Wachdienste für Sicherheit am Weg alles gut bewältigt. Der herausfordernde und stille Karfreitag bewegte Gläubige. Ein Stück Vorfreude und der Wille der Menschen aufzustehen steht im Raum und in der Luft. Nach dem Segen des Bischofs österliche Hoffnung … Vielleicht bleibt davon etwas im Alltag.
Autor: uw