Bei diesen Gedanken schiebt sich mir seit gut 10 Jahren immer wieder eine Szene vor mein geistiges Auge. An einem wunderschönen Wintermorgen bin ich beruflich unterwegs und genieße mit einem Freund und Kollegen vor der Konferenz einen kleinen Schneespaziergang. Wir unterhalten uns über die noch ferne Rente, tauschen uns über darüber aus, welche Möglichkeiten der Zusatzversorgungen es gibt. Beide sind wir guten Mutes und zuversichtlich, dass auch nach der Arbeit auf uns eine gute Lebensphase wartet. Sieben Stunden später ist mein Freund tot…unfassbar. Seine eigene Lebensplanung und die seiner Familie werden innerhalb von Sekunden null und nichtig.
Auch die Jünger Jesu hatte große Pläne mit ihrem „Meister“. Er stand für eine neue Zeit, für ungeahnte Möglichkeiten, er vollbrachte Wunder, befreite sie, in dem er Regeln und Gesetze auf den Kopf stellte. Jesus bedeutete für sie eine sichere und gute Zukunft. Zwar hatte er sein Leiden und Sterben immer wieder angekündigt (Mt 17,12), aber das lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft, mit heutigen Worten würden wir sagen: Sie nahmen das nicht ernst.
Und nun sehen sie ihn, gefoltert, gequält, gescheitert und sterbend: Ihre Pläne wurden im wahrsten Sinne des Wortes „durchkreuzt“. Sie sehen im Scheitern keinen Neubeginn, geraten in Angst, Ausweglosigkeit und Depression, wie die nachösterlichen Geschichten es beschreiben. Symbolisch für diese Stimmungslage steht der bekannte Gang nach Emmaus (Lk 24,13 – 29).
Wie gehe ich damit um, wenn meine Pläne durchkreuzt werden? „Die Krise als Chance“ sagt sich so leicht in der Theorie, in der Praxis falle ich erst einmal in ein Loch, und das darf ich auch. Der „Hiob“ in mir muss eventuell erst geweckt werden, vielleicht steckt auch nur etwas davon in mir. Vielleicht hilft es uns, einfach zu akzeptieren, dass wir unser Schicksal zwar gestalten können, aber nicht alles in unseren Händen liegt, dass wir im besten Sinne des Wortes Verantwortung abgeben dürfen. Die Chance liegt darin zu erkennen, nicht alles beherrschen zu müssen, sondern hinnehmen zu dürfen. Wir spüren in der gegenwärtigen Pandemiesituation, wie schwer uns das fällt.
Jesus selbst heuchelt am Kreuz keine Zuversicht, spricht nicht sich selbst und anderen billige Trostworte zu. Nein, er sagt nicht „Alles wird gut“, sondern er stößt einen lauten Schrei der Verzweiflung aus „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,16) Aber er bleibt in Kontakt mit Gott, leugnet nicht dessen Existenz. Und so klingt im Gebet von Martin Gutl durch alle Verzweiflung auch Zuversicht:
Seht, welch ein Gott!
Da oben hängt Er-
und unter ihm die Pharisäer und Schriftgelehrten.
…
Der da oben wird bald schreien
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Du!“
Seit diesem Schrei des Gottessohnes
ist das „Warum“ zum Gebet geworden.
Seitdem hat der Schrei „Warum?“
seinen Platz bei Gott gefunden
Ein Impuls von Barbara Reene-Spillmann, KAB Essen